Hintergrundverlauf-1 PFD Görlitz

Projekte, wie geht's euch? I

Antworten von "Frauen gestalten Welten"

Wie geht es Ihnen persönlich?

Natürlich macht es große Unterschiede unter welchen sozialen, emotionalen und soziökonomischen Bedingungen Menschen die Zeit der Isolation verbringen. So erlebt eine Mutter von zwei schulpflichtigen Kindern die Pandemie anders als eine Person, die keine Sorgearbeit leisten muss, dafür aber neben der Arbeit einem Studium nachgeht oder sich ehrenamtlich engagiert. Diese unterschiedlichen Ausgangsbedingungen sind auch innerhalb unseres hauptamtlichen Teams bemerkbar.

Was bedeutet soziale Distanzierung für Ihre tägliche Arbeit?

Vor allem bedeutet sie eine Umstellung auf allen Ebenen. Für unsere Tätigkeit sind Begegnung und Beziehungsarbeit grundlegend und unter den gegebenen Umständen kaum möglich. Viele Kultur- und Sozialeinrichtungen verlagern ihre Angebote nun ins Digitale, veranstalten Livestreams und Webinare. Leider ist diese Form der Umstrukturierung für unser Projekt nur schwer möglich, da die meisten unserer Projektteilnehmerinnen nicht über die nötige technische Ausstattung verfügen, um digitale Angebote wahrnehmen zu können. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zusammenarbeit mit Übersetzerinnen, welche für unsere Arbeit elementar ist, derzeit nicht möglich ist.

Wie macht sich die aktuelle Lage bei Ihnen im Verein bemerkbar?  Gibt es trotzdem Dinge, die jetzt passieren/ vorangetrieben werden? Werden Projekte angepasst oder entsteht sogar Neues?

Unser Beratungsangebot bieten wir weiterhin über Chatfunktion oder via Telefon bzw. E-Mail an. Die Projektteilnehmerinnen stehen telefonisch miteinander in Kontakt und versuchen sich so gut es geht gegenseitig bei Problemen und Herausforderungen in der Isolation zu unterstützen. Anstelle des Handarbeitstreffs nähen viele Projektteilnehmerinnen in Eigeninitiative Mund- Nasen-Bedeckungen, die wir Görlitzer*innen bei Bedarf zukommen lassen.

Wir haben zudem mit Ausbruch der Pandemie umgehend damit begonnen, unsere Projektteilnehmerinnen über die neuen Entwicklungen und erlassenen Maßnahmen mit Informationsmaterial in ihren Erstsprachen in Kenntnis zu setzen und tun dies fortlaufend. Diese Arbeit ist besonders wichtig, da einige Frauen aufgrund der Fürsorge-, Pflege- und Erziehungsarbeit, die sie leisten, noch nicht an Sprachkursen teilnehmen konnten und somit noch am Anfang des Spracherwerbs stehen. Insbesondere die regionalen Neuregelungen sind sprachsensibel aufzuarbeiten, um es allen Bewohner*innen der Stadt gleichsam zu ermöglichen, sich  und andere zu schützen aber auch um zu verhindern, dass sie unwissentlich in Konflikt mit den derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen geraten.

Um weitere kreative Ideen und Anregungen für alternative Angebote zu erhalten, verfolgen wir derzeit unsere Netzwerkarbeit mit anderen Migrant*innenorganisationen im Landkreis und bleiben mit diesen im Austausch.

Mit den zukünftigen schrittweisen Lockerungen können wir hoffentlich demnächst unsere Informationsveranstaltungen digital zur Verfügung stellen und Beratung wieder in Einzelsettings anbieten. Dies war uns bislang nicht möglich, da wir als Team zusätzlich mit zwei Übersetzerinnen sowie Referentin nicht zusammenkommen durften.

Welche Folgen hat die Corona-Zeit für Ihre Mitarbeitenden/Klient*innen? Welche Rückmeldungen bekommen Sie?

Aufgrund der Schließung der Schulen und Kindertagesstätten, müssen viele unserer Projektteilnehmerinnen nun ganztags ihre Kinder betreuen und sie zu Hause unterrichten. Kinder bei den Schulaufgaben zu unterstützen, ist insbesondere für Eltern, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist und die noch nicht die Möglichkeit hatten, einen Sprachkurs zu besuchen, eine nahezu unmögliche Herausforderung. Hinzu kommt, dass nicht alle Familien über die technische Ausstattung (PC, Scanner, Drucker) verfügen, um die Schulaufgaben überhaupt zu erhalten. Die Sorgen um die Zukunft und vor allem die Bildung ihrer Kinder bewegt viele am meisten.

Ein weiteres Problem, dass wir derzeit in unserer Arbeit beobachten können, ist, dass wenig offizielle Nachrichten zur aktuellen Lage und den erlassenen Maßnahmen mehrsprachig herausgegeben werden. Viele Menschen informieren sich daher in ihren Herkunftssprachen über die sozialen Medien. Auf diesem Weg werden allerdings auch viele panikschürende Falschmeldungen bis hin zu Verschwörungstheorien verbreitet.

Inwiefern Migrantinnen die Kommunikation mit Ämtern und Behörden in den vergangenen Wochen meistern konnten, ohne dass eine persönliche Begleitung und Beratung möglich waren, werden wir erst in den nächsten Monaten umfassend einschätzen können.

Wird die Corona-Krise bzw. die damit einhergehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens Ihrer Meinung nach langfristige Auswirkungen auf die Gesellschaft haben?

Davon gehen wir definitiv aus. Alle Menschen wurden mit einer so zuvor nie dagewesenen Situation konfrontiert, die Auswirkungen auf vielen Ebenen hat. In Ausnahmesituationen wie dieser werden soziale Benachteiligungen sichtbarer denn je und manifestieren sich. Im Rahmen unseres Projekts beobachten wir die Benachteiligungssituation insbesondere in schulischen Kontexten. Kinder mit Migrationsgeschichte wachsen häufig mit einer nichtdeutschen Herkunftssprache auf, sodass ein in der aktuellen Situation geringerer Kontakt zu Mitschüler*innen und Freund*innen für ihre sprachliche Entwicklung ein Problem darstellen kann. Beim aktuell praktizierten Homeschooling lässt es sich kaum verhindern, dass manche Kinder somit einen Rückstand beim Lernfortschritt aufbauen. Sollten die Schulschließungen länger andauern, kann der Abstand zu den anderen Kindern so groß werden, dass er die Bildungschancen der betroffenen Kinder auch langfristig beeinträchtigt.

Oft wird derzeit ein Wir-Gefühl beschworen. Es wird gesagt, wir müssen gemeinsam diese Krise jetzt durchstehen. Wir müssen uns alle an die Regeln halten usw. Haben Sie das Gefühl, dass sich auch Migrant*innen in Görlitz von diesem Wir-Gefühl angesprochen fühlen?

Zurzeit kann man in der Gesellschaft sehr viele verschiedene Umgangsweisen mit der Corona-Pandemie beobachten. Jeder Mensch, unabhängig von seiner zugeschriebenen sozialen Kategorie, bewertet die aktuelle Lage und die politischen und gesellschaftlichen Bewältigungsstrategien individuell. Daher ist es aus unserer Sicht grundsätzlich schwierig von einem allgemeinen Wir-Gefühl zu sprechen.

Was wir aber beobachten können ist, dass unter unseren Projektteilnehmerinnen ein großer Zusammenhalt herrscht und viele von ihnen dem Impuls nachgehen sich zu engagieren und einander zu unterstützen.

Wenn Sie sich gerade etwas wünschen könnten (z.B. von der Stadt-, Landes-, Bundespolitik oder von anderen Stellen), was wäre das?  Was brauchen Sie jetzt und in der Zeit nach Corona?

Insbesondere die Mütter aus unserem Projekt würden sich wünschen, dass Lehrer*innen und Schulsozialarbeiter*innen jetzt mehr denn je ein besonderes Augenmerk auf die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Schüler*innen lenken und auf deren Bedarfe individuell eingehen.

Außerdem wäre aus unserer Sicht eine schnelle Veröffentlichung aller Nachrichten zur Corona-Pandemie und der Maßnahmen in verschiedenen Sprachen dringend notwendig. Nur so kann allen Menschen ermöglicht werden, die aktuelle Situation einschätzen und entsprechend verantwortungsvoll handeln zu können.

 

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Wer fördert die PFD Stadt Görlitz?


Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit Steuermitteln auf Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.